Entstehungsgeschichte

Wer hätte dem notorischen Tolpatsch Donald zugetraut, daß er sich tatsächlich als Superheld bewähren könnte? Und das schon seit über 30 Jahren?

Erste Flugversuche in dieser Richtung unternahm Donald bereits im August 1949 in einer der klassischen Duck-Geschichten von Carl Barks im amerikanischen Walt Disney's Comics and Stories No.107. In Deutschland wurde die Geschichte "Der Supermensch" erstmals in Micky Maus 02/1952 veröffentlicht.

Durch eine vertauschte Medizinflasche verwandelt sich Donald für ein paar Stunden in einen Superhelden und überwindet dabei in einer Kette sich raffiniert abspielender Ereignisse seine anfangs vehemente Abneigung gegen die unwahrscheinlichen Inhalte von Superhelden-Comics. Doch kaum will er den Neffen seine neuen Kräfte demonstrieren, ist er plötzlich wieder völlig normal. Als er dann auch noch versucht, ihnen die Existenz von Superhelden zu beweisen, verlieren sie endgültig den Glauben an die übermächtigen Comic-Helden und werfen das Heft, das ihrer Meinung nach für die "Verwirrung" ihres Erziehungsberechtigten verantwortlich ist, voller Abscheu in die Mülltonne...

Carl Barks hat mit dieser Geschichte die Diskussion um Comics, die erst in den folgenden Jahren so richtig beginnen sollte, auf witzige Weise vorweggenommen. Für Donalds weitere Heftabenteuer blieb dieser Ausflug in die Welt der Superhelden vorerst ohne Folgen.

Erst ganze 20 Jahre später machte sich Donald ersthaft - wenn man das ausgerechnet bei ihm so sagen darf - und mit einiger Regelmäßigkeit als "nächtlicher Retter der Enterbten" ans Werk. Aber das tat er nicht in Amerika und nicht in den Comics von Carl Barks, sondern in Comic-Geschichten, die in Italien entstanden.

Für die italienische Micky-Maus-Zeitschrift  Topolino entstand im Juni 1969 die Figur "Paperinik". Paperinik ist Donald "Paperino" Duck als Superheld. Die Namensgebung mit dem K am Ende hat in Italien eine gewisse Tradition. Es gibt hier nämlich einige Comic-Serien mit Gentleman-Verbrechern, die ein K im Titel tragen, wie z.B. "Diabolik". In Deutschland wurde daraus, in Anlehnung an den Filmhelden "Fantomas", der Name "Phantomias".

In "Die Verwandlung", der ersten Geschichte mit Phantomias ( LTB 41) findet Donald in einer alten Villa zufällig die Ausrüstung des vor rund 100 Jahren aktiven Gentleman-Verbrechers Phantomias. Dieser war, wie er dessen Tagebuch entnimmt, eine Art Robin Hood, der von den Reichen nahm, um den Armen zu geben. Kurz entschlossen tritt Donald in die Fußstapfen seines Vorgängers, indem er nunmehr die Schwachen gegen die Starken und die Unschuldigen gegen die Verbrecher verteidigt. Allerdings kann er sich in seiner neuen nächtlichen Existenz doch nicht so ganz von seinen Wurzeln lösen. Verschiedentlich nutzt er nämlich seine neuen Fähigkeiten, um Onkel Dagobert , der ihn in früheren Geschichten gnadenlos auszubeuten pflegte, endlich mal ordentlich eins auszuwischen. Da ihn sein reicher Onkel damals zum Teil wirklich übel behandelte, dürfte er damit beim überwiegenden Teil der Leserschaft auf großes Verständnis gestoßen sein...

Dank der erstaunlichen Erfindunggabe von Daniel Düsentrieb bekommt Donald-Phantomias allerlei Gerätschaften an die Hand, die seiner Geheimidentität den Anschein übermenschlicher Fähigkeiten verleihen. Besonders auffällig sind seine Super-Sprungstiefel, mit denen er in wilden Sprüngen und vor allen Dingen wachsam die Straßen und Dächer des nächtlichen Entenhausen durcheilt, um den wohlverdienten Schlaf seiner Mitbürger zu schützen.

Der geniale Erfinder rüstet den nächtlichen Beschützer Entenhausens unermüdlich mit bahnbrechenden Erfindungen jeglicher Art aus.... So erfährt auch Donald guter alter 313 eine entscheidende Wandlung und wird mit allerlei eingebauten Tricks von einer eher schrottreifen Klapperkiste zum flugfähigen Superflitzer, der selbst einen James Bond vor Neid erblassen lassen würde.

Da Daniel Düsentrieb als der Einzige, der etwas über Donalds Geheimidentität als Phantomias wissen könnte, eifrig seine Vergall-("Vergiss-Alles"), Blankweg- oder Gedächtnisschwundpillen schluckt, ist der Leser der einzige Vertraute und heimliche Mitwisser des Superhelden und kann so miterleben, wie Donald als Phantomias endlich auch einmal die Möglichkeit hat, sich augenzwinkerd und souverän über die Missgeschicke des Alltags hinwegzusetzen und als strahlender Held dazustehen.

Erdacht wurde Donalds sagenumwitterte Geheimidentität von Texter Guido Martina und Zeichner Giovan Battista Carpi . Donalds erstes Abenteuer als Paperinik/Phantomias erschien in Italien 1969 in Topolino Nr. 706. In Deutschland konnte man Phantomias erstmals 1976 in Walt Disney's Lustiges Taschenbuch Nr. 41 ("Donald mal ganz anders") erleben.

Guido Martina (9.2.1906 - 6.5.1991) fing 1938 an, italienische Comics zu texten. Nach dem 2. Weltkrieg schreib er dann erste eigene Topolino-Geschichten. 1949 schuf er Pecos Bill, einen der beliebtesten italienischen Western-Comics, der deutschen Fans ebenfalls in guter Erinnerung sein dürfte. Daneben beschäftigte er sich auch noch mit einigen anderen Comic-Serien. Sein Hauptwerk aber sind und bleiben die weit über tausend  Disney Geschichten, die er im Laufe seines Lebens erdachte.

Die Gestaltung von Phantomias lag in den erfahrenen Zeichnerhänden von Giovan Battista Carpi (16.11.1927 - 8.3.1999). Nach einer Ausbildung als bildender Künstler kam er zum Trickfilm und arbeitete an verschiedenen Jugendzeitschriften mit. 1953 wurde er in die Riege der italienischen Disney-Zeichner aufgenommen. Seine Vorliebe für altertümliche Moden und Kostüme machte ihn schnell zum Spezialisten für Persiflagen und Parodien. Mit  "Donald, Prinz von Duckenmark" (LTB 58) oder  "Das Geheimnis der Silberleuchter" (LTB 143) hat er etwa Shakespeares "Hamlet" und Victor Hugos "Die Elenden" humorvoll aufbereitet.

Obwohl Giovan Battista Carpi hauptsächlich für Disney gearbeitet hat und unter anderem Vorsitzender der Accademia Disney war, die in Italien Nachwuchszeichner für Topolino ausbildet, hat er durchaus auch bei anderen Comics, z.B. bei Fix und Foxi, seine Spuren hinterlassen.

Aktueller Anlass für Donalds Einsatz als Phantomias dürfte 1969 vermutlich die Comic-Serie Fantomas gewesen sein, die von 1966 bis 1969 erschien und die Abenteuer des "Genies des Bösen" mit Sprechblasen versehen erzählte. Erfunden wurde der Original-Fantomas als Romanfigur von den Franzosen Marcel Allain und Pierre Souvestre. Fantomas zeichnete sich sowohl durch seine Taten, als auch durch sein Kostüm aus, denn er trug stets Frack, Mantel und Spazierstock in Schwarz - und dazu weiße Weste und weiße Handschuhe.

Die Romane erfreuten sich solcher Beliebtheit, dass es seit 1913 immer wieder Fantomas-Verfilmungen gab, zuletzt die 1964 bis 1966 entstandenen von André Hunebelle. Er hatte mit Jean Marais einen Hauptdarsteller, der der Eleganz der Romanvorlage mehr als gerecht wurde. Dass in Hunebelles Version auch der Spaß nicht zu kurz kam, verrät schon die Tatsache, dass der Komiker Louis de Funès mitwirkte.

Aufällig ist, dass die Abenteuer des Comic-Fantomas erst 1966, also im Anschluss an die Filme, veröffentlicht wurden.

Donald verwandelt sich als Phantomias natürlich nicht ein ein Genie des Bösen. Eher ganz im Gegenteil. Er benützt nur das äußerliche Erscheinungsbild des Gentleman-Verbrechers, um unerkannt gute Taten vollbringen zu können, während ihn seine Umwelt nach wie vor für den größten Tollpatsch und Chaoten aller Zeiten hält. Denn bei allem Temperament, über das Donald verfügt, ist es doch völlig undenkbar, dass er sich für etwas anderes als für das Gute einsetzt. Damit weiß er sich mit seinen Lesern einig, weshalb er ihnen, als den einzigen Vertrauten, mit denen er das Geheimnis seiner Doppelrolle teilt, am Ende so mancher Geschichte verschmitzt zublinzelt.

Außer in den Lustigen Taschenbüchern , in denen auch schonmal ein Phantomias-Nachahmer namens Brutalus, sowie Daisy Duck als Superheldin Phantomime auftraten, kann man einige der fantastischen Erlebnisse von Donald-Phantomias auch in einer Buchausgabe des Egmont Horizont Verlags ("Riesenspaß mit Phantomias") nachlesen. Und natürlich auch in seiner eigenen Heft-Serie.

Phantomias kann also getrost den Schritt ins nächste Jahrtausend wagen...


© 1998-2024 by phantomias.de, CC BY-NC 3.0 DE, Inhalt: Stand 1999. ;)